Montag, 1. April 2013

Verlosung und Buchbesprechung Yasutaka Tsutsui „Professor Tadano an der philosophischen Fakultät“



Es freut die Japanfreunde Hamburg sehr, heute eines der wenigen auch auf Deutsch erschienenen Bücher des in Japan mehrfach ausgezeichneten und sehr bekannten Schriftstellers Yasutaka Tsutsui vorstellen zu können, zum einen, weil er aus unserer Partnerstadt Osaka stammt und zum anderen, weil das Buch im Hamburger Alsterverlag erschienen ist, dem wir für die Verlosung herzlich danken.

Ausgerechnet Deutschlands prominenteste und in der deutschen Verlagswelt einflussreichste Japanologin, Irmela Hijiya-Kirschnereit, sorgte mit einem Verriss der ersten Übersetzung 2007 im Feuilleton der FAZ für einen Nicht-Start des Autors in Deutschland, wünschte ihm dafür einen späteren Neustart bei uns, der mit dem vorliegenden Band vielleicht diesmal gelingen mag. In Japan muss Tsutsui niemanden mehr etwas beweisen und ist dort mit seinen über dreißig Romanen vor allem für Science Fiction gemischt mit schwarzem Humor und Slapstick, aber auch für seine mangelnde political correctness bekannt. Hierzulande dürfte er - indirekt - am bekanntesten für die Werke sein, die von ihm als Anime verfilmt wurden. Besonders hervorzuheben ist hier der wirklich großartige Film „Das Mädchen, das durch die Zeit sprang“, der auf Tsutsuis Roman „Toki o Kakeru Shojo“ zurückgeht, andere Romane wurden beispielsweise von so bedeutenden Filmemachern wie Satoshi Kon umgesetzt.

Während manche Tsutsui vorwerfen, von allem etwas in seinen Büchern den Lesern vorzusetzen, rühmen ihn andere als experimentierfreuden, kritischen wie sehr intellektuellen Kopf. Auf jeden Fall ein Autor, an dem sich die Geister scheiden - und das gilt auch für den hier vorgestellten Band „Professor Tadano an der philosophischen Fakultät“!

Worum geht es?

Das ist nur bei oberflächlicher Betrachtung so einfach zusammenzufassen. Denn das Buch ist nicht nur thematisch und inhaltlich vielschichtig, sondern macht sich selbst, sein Erzählen und sein Zustandekommen als Buch immer wieder selbst zum Thema (ein Effekt, wie wenn man sich mit einem Spiegel vor einen weiteren Spiegel setzt und sich in der Bilderflucht betrachtet). Sogar der Autor wird auf diese Weise ein Teil der Romanhandlung.

Bedenkt man, dass das Buch in Japan bereits 1990 erschien, dann ist klar: Das ist hier „klassische“ postmoderne Metafiktion à la David Lodge (an dem alle, die sich mit Literaturtheorie beschäftigen, nicht vorbei kommen), John Barth oder vor allem auch John Fowles. Und als ein solches mehrfaches Buch im Buch auf vielen verschiedenen Text- und Realitäts-Ebenen geht es nicht nur um die Erlebnisse des Protagonisten Professor Tadano an seiner Fakultät, sondern gleichzeitig um eine Reihe von Vorlesungen über Literaturtheorie, die Tadano seinen Studenten und den Lesern hält.

Quasi „nebenbei“ erhalten die Leser so eine Tour d`Horizon der wichtigsten Literaturtheorien der Gegenwart, aber - wie immer in diesem Buch - immer wieder anders. Mal nahtlos, geradezu unauffällig-gefällig eingebettet in die (Rahmen)-Handlung, mal, an einer besonders turbulenten Stelle der Handlung um den kauzigen Professor, mittels eines „harten Schnitts“ wie man ihn aus action-Filmen kennt.

Anfangs sind die Vorlesungen inhaltlich noch äußerst schrullig gehalten, voller „insider-gags“, die nur Menschen verstehen können, die sich selbst über Jahre hinweg (am besten als Dozent für Literaturwissenschaft!) mit Literaturtheorie beschäftigt haben und die daher die sehr launigen Zusammenfassungen der präsentierten Theorien als zwar höchst subjektiv aber cum grano salis dennoch korrekt einzustufen vermögen. Gegen Ende des Bandes jedoch werden die Vorlesungen immer anfängerfreundlicher, erhalten mitunter geradezu den vorbildlichen Charakter einer zwar stets ironisch-kritischen, aber trotz des lässigen Stils in der Sache schwer korrekten und - für diesen Inhalt - recht unterhaltsamen Einführung. Besonders zu loben ist hier das Kapitel über die Rezeptionstheorie, das mir als jemand, der einen der beiden Begründer dieser literaturwissenschaftlichen Forschungsrichtung noch persönlich kennenlernen durfte, rundum supergut gefallen hat. Gleiches Lob verdient meines Erachtens das Kapitel über Hermeneutik. Wer also eine unterhaltsame wie launige Einführung in die Literaturwissenschaft sucht, um mal abzuchecken, was für ihn an Theoretikern in Frage käme und was nicht (gelegentliche Ausflüge in die Philosophie eingeschlossen), der ist ausgerechnet in diesem japanischen Werk goldrichtig.

Eingebettet ist diese fachliche Seite von Professor Tadano in eine derbe Satire des von ihm vorgefundenen Universitätsbetriebs. Inwiefern diese Parodie auf japanische Verhältnisse zutrifft, vermag ich nicht zu beurteilen, inwiefern jedoch auf die hiesigen, ist jedem, der Erfahrungen mit bundesrepublikanischen Elfenbeintürmen hat, selbst überlassen. Ich stimme aber mit denjenigen Lesern und Kommentatoren des Buches überein, die sich passagenweise immer wieder auch an unsere Verhältnisse erinnert fühlten. Und diese Satire hat es in sich. Derb ist eigentlich noch eine naive Beschönigung. Es tun sich in den Erlebnissen Tadanos haarsträubende Abgründe auf: Intrigante Machenschaften und Denunziationen, die die Zornesadern aller Gerechten anschwellen lassen, Korruption auf allen Ebenen, Führungspositionen, die nichts mit Leistung, sondern allein mit Speichelleckerei und sexuellen Dienstleistungen zu tun haben, krasse Sauforgien, Betrügereien finanzieller wie intellektueller Art und das endlose Elend des akademischen Mittelbaus auf dem Weg in eine gesicherte Position.

Tsutsui polarisiert hier einmal mehr nicht nur wegen seiner mangelnden political correctness und seinem fehlenden Respekt vor altehrwürdigen - wenngleich aus seiner Sicht rein scheinheiligen - Institutionen, sondern weil er in diesem Buch das gesamte Frotzel-Arsenal auffährt - von der federleichten Anspielung für Eingeweihte um drei Ecken herum über klassische Parodie und Satire bis hin zu kino-artigem Slapstick, wobei er, wenn er es für passend hält, sogar vor Fäkal-Humor nicht zurückschreckt. Humor kennt hier keine Grenzen - und ebenso keine Gnade.

Gleichzeitig vermittelt der schrullige und dauergeschwätzige Tadano in seinem „zweiten Leben“ als heimlicher Schriftsteller wie auch in seinen Vorlesungen eine ganz reine und tief empfundene Liebe zur Literatur jenseits aller Verkopfungen und Klugscheißerei, sozusagen „straight from the heart“.

Die Leser lernen schnell zu verstehen, dass der einzige Grund, warum Tadano-sensei sich und seinen Lesern diesen ganzen Theorie-Wust antut, einzig und allein darin besteht, die Literatur so unverfälscht wie möglich zu verstehen (übrigens nicht nur die „Höhenkamm-Literatur“, sondern ebenso die vermeintlich minderwertige Schreiberei, also auch in diesem Sinne ist der Band einmal mehr ein postmoderner Roman). Der gute Tadano scheint stets von der Angst umgetrieben zu sein, die Werke der Literatur, die ihn innerlich so sehr bewegen und die ihm als Mensch so viel zu geben vermögen, falsch oder nicht wirklich verstehen zu können. Die Beschäftigung mit verschiedenen literaturwissenschaftlichen Ansätzen ist so offenbar immer wieder der Versuch, sich des eigenen Verstehens von Literatur zu versichern, indem Tadano sein Verständnis an berühmten Geistern kritisch prüft (und dabei diese berühmten Denker wiederum einer kritischen Prüfung unterzieht). Aber - und das merken die Leser erst nach und nach - simultan dürfte es Tadano auch darum gehen, „Grundlagenforschung“ für die Möglichkeit des eigenen Schreibens zu betreiben. Im Roman jedenfalls erhält Tadano unter seinem Pseudonym einen Literaturpreis und macht - hier bleibt sich Tsutsui ganz treu - selbst bei einem Pille-Palle-Literaturpreis die Bekanntschaft mit Paparazzi, Ultra-Kurzzeit-Ruhm und einem völlig überzogenen Hype um seine Person bzw. wahre Identität. Das ist neben anderen Szenen des Romans wirklich urkomisch und flott erzählt, aber dennoch wollte mir das Lachen beim Lesen im Halse stecken bleiben, erinnert die Darstellung doch unwillkürlich an die ekligsten Formen von Medien-Hype, die nur oft genug schon tödlich endeten. Und natürlich erfährt der Preisträger erneut den Neid und die Mißgunst seiner in kreativer Hinsicht verzweifelt impotenten Professoren-Kollegen, die sich ihm gegenüber schon mit Golfpokalen rühmen müssen, in einem grotesken Versuch, ihn herabzuwürdigen.

Das selbstreferenzielle Vexierspiel rund um den Roman im Roman und seine mehreren Realitäts-Ebenen beschließt dann ein Nachwort, dessen Verfasser nicht genannt wird und das es zuguterletzt der Detektiv-Arbeit der Leser überlässt, hier Fiktion von Realität zu trennen, wenn es um die Rezeptionsgeschichte und weitere Hintergründe des Buches wie auch seines Autors geht. So verstanden also ein Lehrbuch im doppelten Sinne: Literaturwissenschaftliche Einführung und literarische Anleitung, die den Titel „Wie schreibe ich einen postmodernen Roman und halte es bis zum Schluß durch?“ tragen könnte.

Wer also Spaß an hintersinnigen postmodernen Universitätsromanen hat, wer derben, politisch unkorrekten Humor schätzt und/oder sich darüber hinaus einmal ein mehr oder weniger überzogenes Bild von den Abgründen so mancher geisteswissenschaftlicher Parallelgesellschaften machen möchte, der wird von diesem Buch satt.

Wir verlosen zwei Exemplare des Buches!

Schreibt einfach das Stichwort „Tadano“ an:
japanfreundehamburg[at]googlemail.com

Einsendeschluß ist der 30. April 2013.

VIEL GLÜCK!


Und wer nicht warten möchte, kann das Buch sich gleich hier schicken lassen:

http://www.amazon.de/gp/offer-listing/3941808036/ref=sr_1_1_olp?ie=UTF8&qid=1364837540&sr=8-1&condition=used