Freitag, 10. April 2015

Buch-Empfehlung „Nipponspiration“


Heute möchten wir ein Buch vorstellen, das sich eigentlich als Fachbuch an Japanologen richtet, aber aufgrund seines Themas und seiner sehr guten Verständlichkeit auch allen Nichtfachleuten, die sich für das Thema interessieren, guten Gewissens empfohlen werden kann.

Es geht in dem von Michiko Mae und Elisabeth Scherer herausgegebenen Band um „Japonismus und japanische Popularkultur im deutschsprachigen Raum“ und zwar in seiner ganzen Breite:

Das Buch zeigt auf, welchen Einfluss die japanische Kultur seit den 1870er Jahren auf unsere hiesige Mode, Malerei, Architektur, Oper und Operette, später dann auch auf Film, Fernsehen, Comics und Konsumkultur hatte. Wer Japanfan ist, der ist sicherlich auch ein Stück weit „Japonist“, auf welche Weise auch immer - hat bestimmt japanische Manga oder Filme zuhause, isst öfter Japanisch, lernt eventuell sogar Japanisch, hört J-Pop oder J-Rock, übt einen Kampfsport aus der japanischen Welt der Kampfkünste aus, ruht auf Tatami... oder trägt sogar Zehensocken! Oder geht zum Baseball, wie die meisten Japaner - und da sind wir auch schon bei den interkulturellen Verstrickungen, mit denen sich der Band souverän auseinandersetzt.

Der Band zeigt zum einen auf, wie alles begann - was für uns Hamburger besonders spannend ist, denn die Leser erfahren, dass es der gebürtige Hamburger und spätere Wahlfranzose Samuel Bing war, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Kunsthändler den ersten Japan-Boom in Europa begründete.

Wer sich mit Kunst und Architektur auskennt, wird bestätigen können, dass die Untersuchungen zum Einfluss japanischer Künstler auf die Künstler des Blauen Reiter und andere Künstler dieser und späterer Zeit sehr feinfühlig und genau sind: Der Einfluss der japanischen Kunst wird nicht übertrieben und auch nicht zu verallgemeinernd dargestellt und wir erfahren viele interessante Einzelheiten über produktive Aneignung, produktives Missverstehen auf deutscher Seite, aber auch über den „Re-Import“ westlicher Kunstideen über die japanischen Einflüsse.

Andere Themen, wie etwa der Einfluss der japanischen Architektur auf Walter Gropius, werden im Vergleich zu älteren Veröffentlichungen vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnisse (sanft) korrigiert: Ja, Gropius erkannte in der japanischen Architektur vor allem seine eigenen Ideen wieder, fühlte sich bestätigt, konnte damit seinen eigenen Ansatz aufwerten und beschäftigte sich richtig intensiv mit japanischer Architektur erst, als er schon ein „Star“ unter den Architekten war.

Doch über all diese wichtigen und aufschlussreichen historischen Entwicklungsstränge kommt die Gegenwart nicht zu kurz. Und hierin liegt das besondere Verdienst des Bandes, der zwar bereits 2013 erschien (offiziell am ersten Februar 2014), aber noch als aktuell gelten kann. Locker und gänzlich unverkrampft wie auch unverkopft werden die Regisseurin Doris Dörrie und die Mangaka Christina Plaka zu ihrer Arbeit befragt - und beide liefern höchst interessante Antworten, geben dabei spannende Einblicke in ihre Arbeit und die Leser erhalten erhellende „insider“-Informationen, die gerade für Interessierte mit Vorkenntnissen im Bereich Film oder Manga besonders hilfreich sind, um ein „ganzheitliches“ Verständnis dieser beiden kreativen Metiers zu erhalten.

Wer sich für Manga und Anime interessiert, kommt dabei besonders auf seine Kosten: Der Band liefert eine kurze wie übersichtliche Rezeptionsgeschichte der beiden Gattungen in Deutschland mit all ihren Ecken und Kanten. Vielleicht ein Stück Selbsterkenntnis für Japonisten liefern die Beiträge über die „imaginäre Heimat“ Japan - von Japan als „Projektionsfläche“ eigener emotionaler Befindlichkeiten und Sehnsüchte bis hin zur Konfrontation zwischen dem „Japan in mir“ mit dem japanischen Alltag vor Ort. Ich vermute mal, dass sich viele Japanfans hinsichtlich ihrer Gefühle und Erfahrungen in diesen Untersuchungen wiedererkennen werden - zumindest ein Stück weit.

Hinsichtlich populärkultureller Phänomene ist es besonders aufschlußreich auch einmal zum Beispiel anhand der Lolita-Mode nachzuverfolgen, wie sich ein ursprünglich japanisches Subkultur-Phänomen von Japan ablöst und was später an ganz anderen Orten auf der Welt unabhängig von seinem Ursprungsland daraus wird. Wer sein Augenmerk mehr auf interkulturelle Phänomene im Zusammenhang mit globaler Wirtschaft, Marketing, Branding und dergleichen legt, wird sicherlich profitieren vom Beitrag über die globale Vermarktung von „Hello Kitty“, sprich: wie das international funktionieren kann und woran das wohl liegt.

Für Filmfans werden ein paar wichtige Produktionen besprochen, die sich entweder mit Japan beschäftigen oder unter japanischem kreativem Einfluss stehen - auch hier schlägt der Band wieder gelungen die Brücke von der Historie zur Gegenwart. Schade nur, dass manche der genannten Filme leider das VHS-Kassetten-Zeitalter nicht überstanden haben und heute nicht (mehr) auf DVD verfügbar sind, obwohl es sich um Hammer-Filme handelt. Aber vielleicht wird das ja noch...

Letztlich besonders bewegt hat mich die Lebensgeschichte von Christina Plaka, die von Kindesbeinen an für das Zeichnen gelebt hat, schon früh als eine der wenigen deutschsprachigen Mangaka veröffentlichte, dann trotz der Katastrophe von Fukushima ihr Manga-Studium in Kyoto abschloss und im Heimatland der Manga dank der Unterstützung ihrer japanischen Professoren zu ihrem ganz eigenen Stil fand. Eine entbehrungsreiche, beeindruckende Biographie wie auch spannende künstlerische Entwicklung... bedauerlicherweise ohne happy end, denn am Ende des Interviews sah sie 2013 keine Möglichkeit, das Zeichnen mit einem leider notwendigen Brotberuf verbinden zu können. Das ist mehr als schade, zeigt aber auch, dass die Japonisten in Deutschland dringend mehr werden müssen, damit unsere kreativen Köpfe auch von ihrer Arbeit leben können...

Alles in allem ein Buch, das für deutschsprachige Japanfreunde einfach gefehlt hat, denn in gewisser Weise ist es das „Familienalbum“ der Japan-Freaks in Deutschland. Es verdeutlicht zwischen zwei Buchdeckeln fast die ganze Bandbreite der Szene - von Liebhabern ganz klassischer japanischer „Hochkultur“ und deren Anverwandlung japanischer Kultur bis hin zu Vertretern der Cosplay-Community, die am liebsten J-Pop hören und feste Japanisch lernen. Eine Vielfalt, die beeindruckt, in ihrem Abwechslungsreichtum mächtig Spaß macht und Hoffnung für die Zukunft schenkt in Zeiten rückläufiger Kultur-Etats, finanziellem Kahlschlag im Bildungswesen etc. Schaut also bei Gelegenheit unbedingt mal in das Buch rein!

Mae, Michiko / Scherer, Elisabeth (Hg.) (2013): Nipponspiration. Japonismus und japanische Populärkultur im deutschsprachigen Raum. Köln, Weimar, Wien.






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